03.09.2010: Onkel Ho's (nachträgliche) propagandistische Botschaft zum Weltfriedenstag

Mann, dieses Timing haut einen voll aus den Socken! Pünktlich zum bedeutungsschwangeren 1. September 2010 steht erstmals seit sieben Jahren kein amerikanischer Friedensengel mehr an Euphrat und Tigris und wacht über die Demokratisierung des zerbombten Landes. Grund vielleicht, den von gewissen gewissenlosen Buchautoren empfindlich gestörten inneren Frieden der Bundesrepublik mal kurz zu vergessen, und uns dem eigentlichen Thema des Tages zuzuwenden: Dem Weltfrieden nämlich!
Dem sind wir ja nun sicher durch den amerikanischen Truppenabzug vom Golf erheblich näher gekommen, oder? Ok. das Land ist im Eimer, aber die Welt ein bißchen friedlicher geworden? - Pustekuchen! Abgesehen davon, daß die in Bagdad entbehrlich gewordenen GI's schon morgen zum Horn von Afrika verschifft werden könnten, weil dort noch somalische und jemenitische Terrornester ihrer Aushebung harren,

Da tanzt sogar der Muselmann: Kein GI mehr in Bagdad!

auch so brennt und zündelt es an allen Ecken und Enden dieses Planeten. Man denke bloß nicht, das Elend mache irgendwo Sommerpause, nur weil es das dank Sarrazin und Westerwelle bei uns leider nicht mehr bis in die Hauptnachrichten schafft! Wobei pikant ist, daß gerade letzterer kraft seines Amtes dazu eigentlich in der Lage sein sollte, die Blicke der Deutschen für die weltpolitische Situation dahingehend zu schärfen, indem er sich mal um den einen oder anderen "vergessenen" Konflikt bemüht. So'ne kleine Friedensinitiative im Türkischen PKK-Konflikt beispielsweise könnte ja sogar innenpolitisch in Deutschland gewisse Auswirkungen haben, am Ende gar die ach so heikle Einwanderungsfrage betreffend...

Aber nein! Der Herr Außenminister dilettieren ja lieber in Finanzpolitik, was insofern nicht verwundert, da selbst im Bundesbankvorstand Leute sitzen, die sich anstatt mit Finanzen lieber mit der Geburtenrate türkischstämmiger Migranten beschäftigen! So wird dem staunenden Betrachter anschaulich vorexerziert, was passiert, wenn jeder macht, was er will, und keiner, was er soll!
Aber Arbeitslose und sozial Schwache vollsauen, das geht noch in jedem Fall! Obwohl die ja größtenteils im Gegensatz zu diesen pflichtvergessenen Schaumschlägern durchaus ihren Job machen, welcher darin besteht, nicht beantwortete Bewerbungen zu schreiben, "Integrationsmaßnahmen" zu absolvieren, die niemanden integrieren, sich von Ämtern herumschubsen zu lassen, von 4,50 € am Tag zu leben, als "spätrömische Dekadente" zu gelten und dergleichen mehr...

Da sich also scheinbar kein offizielles Sprachrohr für "vergessene" militärische Konflikte finden will, möchte ich hier wenigstens ein paar wahllos herausgegriffene in zwei-drei Sätzen erwähnen, damit mal klar wird, was so an einem vorbeirauscht:

1. Philippinen:
Der südostasiatische Inselstaat führt seit 40 Jahren zwei Bürgerkriege, einmal gegen die kommunistische New People's Army auf der Hauptinsel Luzon, zum anderen gegen islamistische Rebellen im so genannten Moro-Konflikt auf Mindanao und im Sulu-Archipel. Bei letzteren Auseinandersetzungen leisten die USA Militärhilfe.

2. Uganda:
Die Rebellion der Lord’s Resistance Army (LRA) im Norden des Landes begann 1987 und dauert bis heute an. Der Krieg gilt als einer der weltweit brutalsten und blutigsten - es ist davon auszugehen, dass zehntausende Ugander umgekommen, entführt und verstümmelt und an die 1,6 Millionen zu Flüchtlingen gemacht worden sind. Seit August 2006 - als unter Vermittlung des Südsudans eine Waffenruhe vereinbart wurde - hat der Grad der Gewalt merklich abgenommen und am 23. Februar 2008 unterzeichneten die beteiligten Parteien einen Waffenstillstandsvertrag. Was solche Vereinbarungen in Afrika wert sind, zeigt das medial präsentere Beispiel des Kongo oder auch Punkt acht dieser Auflistung.

3. Indien:
Ja, auch die atomwaffenbesitzende bevölkerungsreichste Demokratie der Welt leistet sich seit Jahren mindestens fünf (!) mit Waffengwalt ausgetragene innere Konflikte. Der bekannteste ist noch der praktisch seit der Unabhängigkeit des Staates von Großbritannien (1947) schwelende Kaschmirkonflikt, der auch immer mal wieder, zuletzt 1999, in heißen Kriegen mit dem benachbarten Pakistan, inzwischen auch Atommacht, gipfelt. Weniger bekannt sind der seit 1997 wieder eskalierte Guerillakrieg gegen maoistische Naxaliten in den Bundesstaaten Westbengalen, Jharkhand, Chhattisgarh und Andhra Pradesh an der Ostküste des indischen Subkontinents, sowie die militärisch bekämpften Separatismusbestrebungen in Assam (seit 1990), Tripura (seit 1999) und Nagaland (seit 1969) im äußersten Nordosten des Landes. Interessant ist, daß Indien aber keineswegs als Bürgerkriegsland gilt, obwohl von den Auseinandersetzungen immerhin Gebiete von weit über 700.000 km² mit ungefähr 265 Millionen Einwohnern betroffen sind, mithin fast ein Viertel von Territorium und Bevölkerung der gesamten Indischen Union!

4. Pakistan:
Die derzeit von einer verheerenden Flutkatastrophe heimgesuchte Islamische Republik mischt nicht nur seit Jahren mit unterschiedlicher Intensität bei den Konflikten in den Nachbarstaaten Afghanistan und Indien mit, sondern hat mit der Westprovinz Belutschistan einen eigenen inneren Brandherd, den es seit seinem 5. Aufflackern 1994 wieder verstärkt mit Waffengewalt einzudämmen sucht.

5. Myanmar:
Von der Unterdrückung der dortigen Oppositionsbewegung durch die herrschende Militärjunta, besonders den Hausarrest gegen Frau Suu Kyi, wird immer wieder mal berichtet, vom seit 1948 im Grenzgebiet zu Thailand tobenden Krieg gegen Volksgruppen wie Shan und Karen nicht. Dabei sollen übrigens auch beiderseits Kindersoldaten zum Einsatz kommen...

6. Thailand:
Das selbe Bild - die Rothemden-Revolte in Bangkok ist in aller Munde, der seit 2004 andauernde Bürgerkrieg in den Südprovinzen an der Grenze zu Malaysia dagegen nicht...

7. Indonesien:
Daß im der Einwohnerzahl nach viertgrößten Staat der Welt immer mal wieder Menschenrechtsverletzungen geschehen, kommt in der Tat von Zeit zu Zeit in den Nachrichten vor, wenn die Berichterstattung auch weniger intensiv ausfällt, als bei Bombenattentaten auf Bali-Touristen etwa. Immerhin: Die Konflikte um das nach Unabhängigkeit strebende, widerrechtlich von 1975 bis 1999 besetzte Osttimor und die Krisenregion Aceh wurden ja, auch dank internationalen Drucks, vorerst gelöst. Da fällt es sicher weniger ins Gewicht, daß die indonesische Armee in West-Papua weiter munter Krieg gegen so genannte Separatisten führt, seit 1964 übrigens schon. Auch daß das "Transmigrasi" genannte Binnenmigrationsprogramm der Regierung regelmäßig zu Mord und Totschlag in den davon betroffenen Gebieten führt, wird sicherlich als innere Angelegenheit des Inselstaates abgehakt...

8. Senegal:
Seit 1990 gab es hier militärische Auseinandersetzungen zwischen der Regierung Senegals und der Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance (MFDC) über die Frage der Unabhängigkeit der Region Casamance, welche eigentlich durch einen Friedensvertrag 2004 zwischen den Konfliktparteien beigelegt zu sein schienen. Da in diesem jedoch keinerlei Autonomieregelungen für die betroffene Region verankert wurden, flammten die Kampfhandlungen wieder auf. Das hat seither ca. 5000 Menschen das Leben gekostet.

9. Türkei:
Auch der NATO-Partner Türkei führt seit sechs Jahren in Südost-Anatolien wieder richtiggehend Krieg gegen Teile seiner Bevölkerung. Dabei geht es nach wie vor um die seit 1984 heiß diskutierte Frage, ob die dort lebenden Kurden nun "Bergtürken" sind bzw. aus deren Blickwinkel um die Schaffung eines kurdischen Nationalstaates. Von seiten der Türken wird da auch schon mal kämpfenderweise die Grenze zum benachbarten Irak überschritten...

10. Transnistrien:
Herr im Himmel, wo liegt das denn? Mitten in Europa, liebe Freunde! Dieser lachhafte Zwergstaat von der ungefähren Größe des Saarlands oder Luxemburgs erstreckt sich östlich des Dnister zwischen Moldawien und der Ukraine und bildet seit der internationalen Anerkennung des sezessionistischen Kosovo Europas letztes so genanntes "stabilisiertes De-facto-Regime". Daß im erweiterten Landkreis Tiraspol derzeit meines Wissens nicht scharf geschossen wird, darf aber nicht den Blick darauf verstellen, daß hier völkerrechtlich betrachtet ein durch Gewaltakte begründeter Zustand zementiert wurde. In anderen Zeiten wäre auch die Stationierung russischer Truppen auf moldawischem Territorium ohne Zustimmung der Regierung in Chisinau, denn Transnistrien ist offiziell nach wie vor Teil Moldawiens, durchaus als kriegerischer Akt betrachtet worden. Andererseits reißt sich natürlich auch Moldawien - zum Glück! - zur Zeit gerade kein Bein aus, Transnistrien "heimzuholen". Wie fragil die Situation im Grunde jedoch ist, zeigt die ungleich dynamischere und blutigere Entwicklung ganz ähnlich gelagerter Konflikte im Kaukasusraum (Tschetschenien, Süd-Ossetien, Abchasien). Dieses letzte, scheinbar nicht so recht zu seinen Vorgängern passende Beispiel dient somit als Beleg der anerkannten Tatsache, daß Frieden eben doch mehr als nur die Abwesenheit von Krieg ist. Ich finde, auch das sollte nämlich in einer Betrachtung zum Weltfrieden mal zur Sprache kommen...

Was ist nun das Fazit dieses wahrscheinlich längsten diskordischen Meinungsäußerung auf diesen Seiten? Der Welt-Unfrieden ist scheinbar äußerst facettenreich! Klassische zwischenstaatliche Konflikte scheinen zwar in der Tat immer mehr außer Mode zu kommen, doch reicht das Spektrum immerhin von Drohgebärden am Rande des Nuklearkrieges (Kaschmir) bis hin zur faktischen Duldung annexionistischer Bestrebungen einer im Hintergrund agierenden Weltmacht (Transnistrien). Hauptsächliche Triebfeder für die vorrangig innerstaatlichen Gewalteskalationen scheinen entgegen der den Medienwald momentan beherrschenden Meinung nicht unbedingt religiöse Fundamentalismen sondern nach wie vor die unterschiedlichsten Unabhängigkeitsbestrebungen zu sein, die in der Regel ihre Ursache in staatlicher Repression gegen Bevölkerungsteile der betroffenen Länder haben. Diese kann je nach dem politisch (Naxaliten), religiös (Moros) oder ethnisch (Kurden) motiviert sein, häufig auch im Mix (exemplarisch: Kaschmir) und soziale Diskriminierung verdeckend. Zu beachten bleibt freilich, daß tatsächlich zunehmend religiöse Motive traditionelle Nationalismen und weltanschauliche Heilslehren als Kampfideologien der jeweiligen Kontrahenten abzulösen scheinen. Nicht unterschlagen möchte ich abschließend, daß es auch Erfolge gibt, die nicht einmal mit Waffengewalt erzwungen wurden, wie im Falle der Unabhängigkeit von Osttimor oder der Autonomie des indonesischen Krisenherdes Aceh, wobei allerdings angesichts der innenpolitischen Entwicklung beider Gebiete (Bürgerkrieg in Osttimor, Einführung der Scharia in Aceh) fraglich bleibt, was unter'm Strich dabei gewonnen wurde.

Nichtsdestotrotz bleibt allen hier erwähnten Konflikten eins gemein: Sie finden weitgehend abseits unseres mit Nachrichten überfütterten Interesses statt. So hatte ich bei der doch recht zeitaufwendigen Recherche für diesen Artikel das zweifelhafte Vergnügen, feststellen zu müssen, wie lückenhaft meine Weltkenntnis doch ist. Von Landstrichen namens Tripura, Nagaland oder Casamance erfuhr ich tatsächlich erstmals innerhalb der letzten drei Tage, weswegen dieser Beitrag auch leider erst heute ins Netz gestellt werden kann...

Zu guter Letzt bleibt ja immerhin noch die tröstliche Erkenntnis, daß Thilo Sarrazin wenigstens seine vermutlichen Ansichten zur Weltlage für sich behalten hat. Ob wir die daraus möglicherweise resultierenden Konflikte so schnell vergessen hätten, wage ich nämlich zu bezweifeln!

In dem Sinne: Peace!

Zurück zu den Diskordischen Texten