19.09.2008: Das heilige Orakel des Tabaksqualms und die Populismusfalle

Eigentlich bin ich ja Fan von Altbundeskanzler Helmut Schmidt – und das, obwohl mir seine politischen Standpunkte nicht in jedem Falle liegen. Steht doch für mich die Zeit seiner Kanzlerschaft Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre am Beginn einer sozialen Demontage in der („Alt“-) Bundesrepublik, während zugleich im Zuge der Nachwehen des „Deutschen Herbstes“ 1977 mit Rasterfahndung und Radikalenerlass die Grundlagen zum sich heute unter Schäuble immer mehr herauskristallisierenden neudeutschen Überwachungsstaat gelegt wurden. Aber allein sein fast schon Don-Quixote-haftes Anrennen gegen die zunehmende Stigmatisierung der (ja!) Bevölkerungsgruppe der Raucher macht ihn mir als Gefährten im Laster schlichtweg sympathisch! Endlich mal einer, der sich nicht opportunistisch dem Zeitgeist anschließt und das nachplappert, was die Mehrheit gerade sagt…

Helmut Schmidt (ohne Zigarette) setzt
Rauchzeichen in der Populismusdebatte
Und genau das zeichnet die Schmidtschen Einlassungen zu aktuellpolitischen Themen im Allgemeinen ja aus, dass die nämlich gelegentlich gehörig am politisch korrekten „Sowohl-als-auch“ vorbei gehen und auch schon mal herbe Kritik am Treiben der derzeit herrschenden Politikerkaste beinhalten…
Und nun hat der alte Herr also den Ober-Linken Oskar Lafontaine mit Hitler verglichen, so suggerierte zumindest die Schlagzeile, die ich jüngst im Netz fand. Na fein, dachte ich, „Reductio ad Hitlerum“ die 592te! Und richtig, der Wortlaut des Zitates bestätigte denn auch leider meine spontanen Befürchtungen: Da ist zunächst vom US-Präsidentschaftskandidaten Obama die Rede, welcher „allein mit Charisma zu einer nationalen Figur“ werde. Weiter wird erklärt, dass jedoch Charisma für sich genommen noch keinen guten Politiker ausmache. So weit, so richtig. Dann das Hammerargument: Auch „Adolf Nazi“ (komische Ausdrucksweise – Ho) sei ein charismatischer Redner gewesen. Und schließlich: „Oskar Lafontaine ist es auch.“ Nun ist es zunächst erst einmal reizend, dass in der Reflexion dieser Aussage von Helmut Schmidt mit keiner Silbe Bezug auf den offenkundigen und im übrigen primären (!) Vergleich zwischen Obama und Hitler genommen wird und stattdessen der Zweitvergleich ausgeschlachtet wird – nun gut wegen Lafontaine ist maximal die Linkenfraktion des Bundestags sauer und nicht gleich mit Protestnoten des US-Senats zu rechnen – seltsam bleiben in Anbetracht seiner sonstigen rhetorischen Souveränität des Altkanzlers weitere Ausführungen, die augenscheinlich als Kritik an einer von ihm beklagten Zunahme des Populismus in der deutschen Politik gemeint sein sollen.

Die ganz alltägliche Hartz-IV-Fettlebe in Berlin
Wenn da nämlich beispielsweise von Berlin als der „Hauptstadt der Arbeitslosigkeit“ die Rede ist, dann ist das nicht nur ungenau (das Zitat unterstellt aufgrund der spracheigentümlichen Unschärfe einer derartigen rhetorischen Phrase AUCH, Berlin wäre die Stadt mit der höchsten Arbeitslosenquote in Deutschland, die hat aber Anklam in MV mit über 30%, Berlin liegt bei etwas über 13% Tendenz sinkend) sondern schlicht und ergreifend selbst populistisch.
Nun könnte man freilich einwenden, dass es in Berlin als mit Abstand größter deutscher Stadt absolut die meisten Arbeitslosen gäbe (was vermutlich stimmt), nur müsste dann z.B. München mit einer Arbeitslosenquote von ca. 5% lediglich auf eine Population von ca. 4,3 Millionen anwachsen, um bei gleich bleibender Beschäftigungsrate an der Hauptstadt vorbeizuziehen. Spekulativ muss hierbei freilich bleiben, wie lange dazu die Abwanderung aus dem prekarisierten Osten wohl noch anhalten müsste…

Ja, weit ist das Feld der Politik und übersät mit populistischen Tretminen und Fußangeln. Schade, dass ausgerechnet der Deutschen Lieblings-Ex-Kanzler in eine latschen musste! Aber Schwamm drüber. Helmut geht einfach mal kurz raus – eene roochen vielleicht, Oskar tröstet sich, dass er ja nicht nur mit Hitler und Le Pen sondern auch quasi mit dem (vielleicht) künftigen Oberzampano der Weltpolitik verglichen wurde, die Berliner damit, dass sie neben den meisten Hartz-IV-Profiteuren auch noch die meisten Bürokraten (12 Kommunalverwaltungen, eine Landes- und eine Bundesregierung) und staatlich alimentierten Dummschwätzer (Berufspolitiker) zu ertragen haben und alles ist wieder schick...

Oder etwa nicht?